Ruhepunkt

Was ist wahr? Oder: Orientierung im Informationsdschungel

Vor einigen Jahren erzählte mir zu Beginn des Unterrichts eine Schülerin folgende Begebenheit: Man habe herausgefunden, dass jeder Mensch pro Jahr 7 bis 8 Spinnen im Schlaf verschlucke. Ich dachte kurz darüber nach, dann kam mir: Unsinn, wie soll man das denn herausgefunden haben? Dazu müsste man ja sämtliche Menschen im Schlaf filmen. Ich fand heraus, dass diese Geschichte sehr oft erzählt wird. Aber die Häufigkeit einer Erzählung sagt nichts über deren Wahrheitsgehalt aus. Was aber ist dann wahr? Vor diesem Problem steht man sehr oft:

Regelmäßig gibt es zum Teil hitzige Diskussionen über politische Entscheidungen oder über den Hergang von großen Ereignissen. Gemein haben sie, dass man die Sachverhalte fast nie selber erlebt hat und sehr viele Informationen benötigt, um sie beurteilen zu können. Man ist also auf Informationen von außen angewiesen. Aber schon diese sind häufig widersprüchlich. Die Meinungsunterschiede beginnen dabei, welche Informationen die richtigen sind. Abhängig von diesen Informationen ergeben sich manchmal völlig unterschiedliche Sichtweisen: Ist Stuttgart 21 ein sinnloses Milliardengrab oder eine wichtige Investition in die Zukunft? Wird durch eine Reform die Situation verbessert oder verschlechtert? Fand am 11. September ein beispielloser Terroranschlag statt oder wurde der Anschlag von den USA selber verübt, um einen Kriegsvorwand zu schaffen? Starb Johannes Paul I an einem natürlichen Tod oder wurde er vergiftet, um einen Skandal zu vertuschen? Ist Corona eine gefährliche Viruserkrankung oder nur eine harmlose Erkältung, die Corona-Maßnahmen nur hysterische Reaktionen? Welche Medien und welcher Wissenschaftler sind glaubwürdig? Ähnliche Probleme ergeben sich auch im Alltag: Kann man bestimmte Lebensmittel mit gutem Gewissen essen? Kann man der ärztlichen Diagnose trauen? Stimmen die Produktbewertungen im Internet? Wer ist für einen Konflikt verantwortlich?

Nun geht es mir hier aber weniger um die tiefe philosophische Frage, was Wahrheit ist. Mir geht es vielmehr um die Frage, auf welche Aussagen und Quellen man im Informationsgewirr eher hören sollte und auf welche besser nicht. Also wo man am ehesten die Wahrheit erfährt. Um es vorweg zu nehmen: Ich war am 11. September nicht in New York, ich war noch nie im Vatikan und ich bin auch kein Virologe oder Arzt, um die obigen Fragen kompetent beantworten zu können. Ich bin genauso Fragender wie jeder andere auch, der die Wahrheit kennen möchte.

Wie aber kann man die Wahrheit im Informationsdschungel finden? Und wie kann man die Glaubwürdigkeit von einem Menschen prüfen, der darüber spricht? Die Frage über die Glaubwürdigkeit lässt sich vermutlich einfacher beantworten als die Frage, was wahr ist. Darum stelle ich sie an den Anfang.

Wer ist glaubwürdig?

Im Folgenden beschreibe ich einige typische Kriterien, welche von vielen als Maßstab für die Glaubwürdigkeit eingesetzt werden und schreibe dazu meine persönliche Einschätzung.

Kriterium 1: Sicheres Auftreten

Man stelle sich ein Beispiel vor: Sie sind in einer fremden Stadt und fragen zwei Personen nach dem Weg. Der erste sagt Ihnen: Ganz einfach, fahren Sie hier und dort hin. Der zweite sagt Ihnen: Ich bin mir nicht ganz sicher, vermutlich müssen Sie diese und jene Strecke fahren. Wem würden Sie glauben? Vermutlich dem ersten, der sich sicher war. Aber bedeutet Sicherheit wirklich Verständnis? Viele Sachverhalte sind sehr vielschichtig, haben keine eindeutigen Lösungen. Ich erinnere mich an das Jahr 2001, kurz bevor der Euro eingeführt wurde. Ich fragte einen Wirtschaftsprofessor, ob der Euro so sicher würde wie die DM und er antwortete sinngemäß: Von der Institution sei der Euro ähnlich aufgebaut wie die DM, aber es flössen so viele anderen Einflüsse mit ein, dass er es nicht sagen könne, er wüsste es nicht. Ein Kommunalpolitiker antwortete mir auf dieselbe Frage, dass in den Euro schwächere Währungen als die DM miteinflössen, darum sei er schwächer als die DM. Eine einfache Antwort auf eine komplexe Frage. Doch wer verstand mehr von dem Thema? Wessen Antwort war glaubwürdiger? Ich gehe davon aus, dass der Wirtschaftsprofessor mehr davon verstand.

Sicherheit beruht oft darauf, dass man sein eigenes Unwissen nicht sieht oder nicht sehen will, die Möglichkeit des eigenen Irrtums nicht genügend berücksichtigt. Unsicherheit beruht dagegen oft auf der Erkenntnis, Wissenslücken zu haben und irren zu können. So sagte der Philosoph Bertrand Russel treffend: "Das ist der ganze Jammer: Die Dummen sind sich so sicher, die Gescheiten so voller Zweifel". Um zum Anfangsbeispiel zurückzukehren: Natürlich bedeutet eine sichere Antwort nicht, dass sie falsch ist. Eine einfache Frage kann einfach und sicher beantwortet werden. Wer sich in einer Stadt sehr gut auskennt, kann anderen voller Sicherheit den Weg zeigen. Umgekehrt bedeutet Aber eine sichere Antwort nicht, dass sie richtig ist. Wer zu einer komplexen Frage – wie die der Sicherheit des Euros – eine einfache Antwort gibt, nimmt keine Rücksicht auf die Komplexität des Themas. Häufig habe ich auch Personen erlebt, die von einem Thema nur wenig wussten und dennoch voller Sicherheit darüber sprachen. Sie erzählten das, was sie sich darunter vorstellten, ohne Rücksicht auf Tatsachen. So erzählte ein Erwachsener Jugendlichen voller Sicherheit, dass man beim Schachmatt den König schlagen würde (was nach den Spielregeln gar nicht möglich ist). Fazit: Die Sicherheit, mit der eine Person auftritt, sagt nichts über deren Glaubwürdigkeit aus.

Kriterium 2: Fachwissen

Wenn nicht die Fachleute über ihr Fachgebiet Bescheid wissen, wer dann? Würden Sie die Aussage über physikalische Zusammenhänge in Frage stellen, wenn sie von einem Physiker käme? Oder eine Aussage von einem Wirtschaftswissenschaftler über wirtschaftliche Zusammenhänge? Tatsächlich ist ein erfolgreich abgeschlossener Studiengang oder eine erfolgreiche Ausbildung für viele ein unschlagbares Argument für das Fachwissen der entsprechenden Person. Man kann wohl auch mit Sicherheit davon ausgehen, dass ein Fachmann mehr von seinem Fach versteht als die meisten anderen Menschen. Deswegen ist er aber weder fehlerlos noch weiß er alles darüber. Oft genug widersprechen sich sogar Professoren, z. B. wenn es um die Folgen von politischen Entscheidungen geht. Kann die Aussage eines Wissenschaftlers wirklich richtig sein, wenn ein anderer Wissenschaftler etwas anderes sagt? Was ist nun wahr, wenn zwei Professoren eines Fachs zwei widersprüchliche Aussagen treffen? Und vor allem: Wie soll das einer erkennen, der selber nicht vom Fach ist? Die einzige Möglichkeit besteht darin, beide Aussagen gegenüberstellen und versuchen, sie auf Glaubwürdigkeit zu überprüfen. Je mehr Fachwissen man selber einbringt, desto besser. Eine absolute Sicherheit gibt es aber nicht. Interessant ist aber: Wenn zwei Fachleute sich widersprechen, können sie unter Umständen dennoch beide glaubwürdig sein. Sie sagen beide das, was sie nach bestem Wissen und Gewissen für richtig erachten – schätzen aber die Sachlage anders ein. Fazit: Fachmann zu sein auf einem Gebiet steigert die Glaubwürdigkeit auf jeden Fall, garantiert aber keine richtige Einschätzung.

Umgekehrt gibt es Menschen, die sich Fachwissen auf anderem Weg (z. B. autodidaktisch) angeeignet haben und ohne Abschluss viel davon verstehen. So hatte z. B. der berühmte Tierfilmer Heinz Sielmann keinen Studienabschluss. Für einen Laien ist es sicher sehr schwer zu erkennen, ob sie wirklich etwas verstehen oder nicht. Wenn man die Person nicht kennt, ist es auf jeden Fall ratsam, kritische Aussagen bei seriösen Quellen zu überprüfen.

Zu beachten ist, dass sich nicht hinter jedem wohlklingenden Namen unbedingt Fachwissen verbirgt. Häufig liest man in der Zeitung, dass von einem Institut etwas berechnet oder eingeschätzt wurde. Der Begriff Institut ist im Gegensatz zu Universität aber nicht geschützt. Zwar haben Universitäten häufig Institute, aber deswegen stehen Institute nicht zwangsläufig in Verbindung mit Universitäten. Jede Einrichtung kann sich Institut bezeichnen. So hieß auch das Geschäft meines früheren Friseurs Schönheitsinstitut. Das Institut für Staatspolitik ist eine Denkfabrik der Neuen Rechten (Institut für Staatspolitik), welche für den Landesverfassungsschutz Sachsen-Anhalt als gesichert rechtsextrem gilt.

Kriterium 3: Realistische Selbsteinschätzung

Schon der antike Gelehrte Sokrates bekannte mit seinem berühmten Zitat: "Ich weiß, dass ich nichts weiß", dass die Menge seiner Unwissenheit sein Wissen bei weitem übertraf. Das gilt bis heute selbst bei den gebildetsten Menschen. Sogar in den einzelnen Wissenschaften gibt es so viele Spezialgebiete, dass niemand alles wissen kann. Man denke an die zahlreichen Fachbereiche in der Medizin. Als Informatiker erschrecke ich immer wieder über meine Unwissenheit in zahlreichen Fragen der Informatik. Gleiches gilt vermutlich in allen Wissenschaftsdisziplinen. Nicht zu vernachlässigen ist auch der technische Wandel: Was ich als Student in der Informatik einst gelernt habe, ist heute in vielerlei Hinsicht überholt.

Hier wird wieder die Glaubwürdigkeit durch Unsicherheit deutlich: Wer seine Wissensgrenzen kennt, äußert sich nur soweit, als er es wirklich beurteilen kann. Unwissenheit einzuräumen ist ein Glaubwürdigkeitsbeweis. Wer dagegen bei jedem Thema wie ein Experte auftritt, beweist seine Unglaubwürdigkeit. Bedeutend ist auch die Art des Meinungsaustausches: Wer belehrend auftritt geht davon aus, dass er seinem Gesprächspartner voraus ist. Schon alleine die Beurteilung: "Du liegst falsch" oder "Du hast es nicht verstanden" bei einem Meinungsunterschied wiegt sehr schwer und kann nur getroffen werden, wenn es sich um unverrückbare Tatsachen handelt. Wer in sämtlichen Diskussionen mit dieser Tonart auftritt, kennt seine Wissensgrenzen nicht. Und wie glaubwürdig ist jemand, der sich selber Truther nennt? Der damit von vornherein den eigenen Irrtum ausschließt? Fazit: Die eigenen Wissensgrenzen zu kennen, steigert die Glaubwürdigkeit.

Kriterium 4: Selbstkorrektur

Menschen können sich nicht nur irren, Menschen irren sich immer und immer wieder. Auch Albert Einstein korrigierte sich mehrmals (Artikel über Albert Einstein) und gab Edwin Hubble in der Ausdehnung des Universums recht (an die er zuvor nicht glauben wollte). Der Vorwurf, dass jemand seine Meinung geändert hat, kann also durchaus als Kompliment verstanden werden. Zeichnet sich ein glaubwürdiger Mensch nicht gerade dadurch aus, dass er Fehler einräumt und an seinem Weltbild arbeitet? Wer nicht in der Lage ist, Fehler einzuräumen – seien sie auch noch so offensichtlich – verliert damit sehr viel Glaubwürdigkeit. "Das brauche ich mir erst gar nicht anzuhören" hört man manchmal von Menschen, die sehr von sich überzeugt sind. Ist so eine Aussage ein Zeichen von Sicherheit oder von der Unfähigkeit, den eigenen Irrtum als Möglichkeit zuzulassen? Umso glaubwürdiger sind diejenigen, welche ihre Fehler ohne Aufforderung einräumen, wenn sie diese erkannt haben. Hier aber wird ein Dilemma deutlich: Auch glaubwürdige Menschen kennen nicht immer die Wahrheit – auch nicht Albert Einstein!

Kriterium 5: Unabhängigkeit

Wer kennt diese Situation nicht: Man steht im Fachgeschäft und lässt sich vom Verkäufer beraten, welchen Artikel man kaufen soll. Unabhängig von seiner Fachkompetenz hat der Verkäufer ein Glaubwürdigkeitsproblem: Er verkauft die Artikel und hat ein Interesse daran, möglichst viel Geld einzunehmen. Wird er also wirklich den Artikel empfehlen, der für den Kunden am besten geeignet ist? Oder wird er versuchen, unter den in Frage kommenden Artikeln den teuersten zu empfehlen? Nun liegt es mir fern, alle Verkäufer pauschal als unglaubwürdig zu verurteilen. Dennoch ist ihr Rat mit Vorsicht zu genießen. In gleicher Weise sind die Darstellungen von Interessensvertretungen und Lobbyisten mit größter Vorsicht zu genießen. Aus diesem Grunde sehe ich Kooperationen zwischen der Industrie und der Wissenschaft als sehr problematisch an, schließlich sollte die Wissenschaft bei ihren Forschungen unabhängig bleiben und nicht von finanziellen Interessen abhängig sein. Fazit: Unabhängigkeit steigert die Glaubwürdigkeit. Leider ist es oftmals kaum möglich, Abhängigkeit zu erkennen.

Kriterium 6: Eigene Erfahrung

Wer aus eigener Erfahrung etwas zu berichten weiß, gilt oft als sehr zuverlässig. Schließlich hat er mit eigenen Augen gesehen oder vielleicht sogar selber mitgemacht, worüber andere nur aus zweiter und dritter Hand wissen. Dementsprechend ist man sich in der Regel vieler Zuhörer sicher, wenn man zu einem wichtigen Thema etwas aus eigener Erfahrung berichten kann. Aber welche Rückschlüsse lassen sich aus solchen Berichten ziehen? Wenn z. B. jemand erzählt, dass er keine Kinder bekommen kann? Ist deswegen die ganze Menschheit zum Aussterben verdammt ist? Oder bedeutet es lediglich, dass manche Menschen keine Kinder bekommen können? Natürlich werden Sie sagen, letzteres. Aber wie oft wird aus einem oder wenigen Fällen auf eine allgemeine Regel rückgeschlossen? So ist der Konsum von gesundheitsgefährdenden Substanzen (Alkohol, Nikotin, Cannabis …) für viele unbedenklich, weil sie jemanden kennen, der schon seit Jahrzehnten keine Probleme damit hat. Auch gehen viele Menschen aufgrund ihrer eigenen Leistungen davon aus, dass alle anderen Menschen die gleichen Leistungen erbringen können. Und wenn jemand Mitglied in einer größeren Organisation ist, kann er über diese Organisation natürlich einiges erzählen. Aber kennt er wirklich die ganze Organisation aus eigener Erfahrung oder kennt er nur einen kleinen Teil dieser Organisation (z. B. eine bestimmte Gruppe, Abteilung usw.)?

Natürlich muss man Menschen Gehör schenken, wenn sie aus eigener Erfahrung berichten können. Zumindest, solange sie nicht als Lügner bekannt sind und man sie wirklich kennt (im Internet gibt es ja zahlreiche Menschen, die vorgeben etwas selbst erlebt zu haben). Sieht man einmal davon ab, dass man sich auch in der eigenen Wahrnehmung täuschen kann (z. B. ein Ereignis zeitlich falsch einordnen oder sich falsch erinnern), lässt sich aus einem Augenzeugenbericht nur selten Allgemeingültiges ableiten. Diese Erkenntnis ist keineswegs neu und findet sich in der Parabel von den Blinden und dem Elefanten wieder (Die blinden Männer und der Elefant)

Unterm Strich gibt es also mehrere Kriterien, die für die Glaubwürdigkeit eine wichtige Rolle spielen. Nach meiner Einschätzung sind es die Kriterien 2 bis 6, also Fachwissen, realistische Selbsteinschätzung, Selbstkorrektur, Unabhängigkeit und eigene Erfahrung.

Kritische Fragen als Glaubwürdigkeitsprüfung

Zusammengefasst: Glaubwürdig ist, wer bestrebt ist, die Wahrheit zu sagen. Dazu gehört, sich kritischen Fragen zu stellen. Jemand stellt eine Behauptung in den Raum, die man für fragwürdig hält. Also stellt man eine kritische Frage oder bringt einen Einwand dazu. Falls man dazu eine plausible Antwort erhält, kann man sie zumindest nach seinem eigenen Wissensstand als glaubwürdig einstufen. So lange, wie man keine Widerlegung der Antwort kennenlernt. Doch wie glaubwürdig ist jemand, der kritische Fragen nicht beantwortet? Wie glaubwürdig sind Menschen, die jeder Diskussion aus dem Weg gehen, die es immer eilig haben, wenn kritische Fragen gestellt werden? Wie glaubwürdig ist es, wenn man nur andere antworten lässt? Ich habe es mehrfach erlebt, dass ich auf eine kritische Frage anstatt einer Antwort ein Youtube-Video erhielt, in dem jemand die angebliche Wahrheit erklärte. Ist es glaubwürdig, wenn man selber gar keine Antwort geben kann, sondern nur jemand anderes erklären lässt? Spricht das dafür, dass man selber etwas von dem Thema versteht?

Andere reagieren auf kritische Fragen oder Einwände ausweichend oder sogar aggressiv. Manchmal wird auch versucht, den Gesprächspartner zu verunsichern mit Aussagen wie: "Mit so einer Frage beweist du nur, dass du nichts davon verstehst" oder "Das brauche ich mir erst gar nicht weiter anzuhören" oder "Der Einwand ist so blöd, dass ich mich nicht damit auseinandersetzen muss" oder ähnlichem. Grundsätzlich gibt es aber keinen Einwand, auf den man nicht eingehen könnte. Gerade wenn er unbegründet ist, kann man ihn besonders leicht widerlegen. Selbst in der Formalwissenschaft, wo bestimmte Zusammenhänge bewiesen sind (z. B. mathematische Formeln), sind kritische Fragen bereichernd. Wer mit einer kritischen Frage konfrontiert wird, kann hier sein Wissen unter Beweis stellen: Mit einer guten Erklärung oder einem mathematischen Beweis. Wer versucht seine Diskussionspartner einzuschüchtern, stößt vielleicht Andersdenkende ab, verliert aber auch seine Glaubwürdigkeit. Denn auf Einschüchterung brauchen nur diejenigen zu setzen, die nicht mit Argumenten überzeugen können.

Es ist durchaus möglich, im persönlichen Umfeld glaubwürdige Menschen zu erkennen. Doch je weniger man persönlich mit ihnen zu tun hat, desto schwieriger und zeitaufwändiger dürfte es sein, ihre Glaubwürdigkeit einzuschätzen. Sieht man einen Minister oder einen Fachmann im Fernsehen sprechen, braucht man selber sehr viel Hintergrundwissen, um dessen Glaubwürdigkeit einschätzen zu können. Bei längeren Beobachtungen kann man z. B. feststellen, ob sich jemand korrigiert und ob er auf kritische Fragen eingeht (bei Interviews sieht man oft das Verhalten, dass alles Mögliche erzählt wird ohne die Frage zu beantworten).

Auch die Glaubwürdigkeit von Medien lässt sich nicht ohne längere Beobachtung einschätzen. Allerdings habe ich es bei den öffentlich-rechtlichen Nachrichten mehrmals erlebt, dass sie ihre eigene Berichterstattung korrigiert haben - zum Teil auch solche, die jahrelang zurück lagen (z. B. beim 1. Irakkrieg unter George Bush Senior oder beim Kinderpsychiater Dr. Michael Winterhoff). Bei Verschwörungstheoretikern habe ich so eine Selbstkorrektur noch nicht erlebt.

Die kritische Prüfung macht nur dann Sinn, wenn sie konsequent ist. Es ist durchaus sinnvoll, Zeitungen und Nachrichtensendungen kritisch zu hinterfragen. Genauso kritsich sollten aber auch alle anderen Quellen hinterfragt werden. Warum sollten die Youtube-Videos oder die Facebook-Beiträge von Hinz und Kunz seriöser sein als die Artikel von ausgebildeten Journalisten? Warum sollte man ausgerechnet Riesenkonzernen wie Facebook und Google mehr vertrauen als Zeitungen und Zeitschriften? Und wenn der CIA wirklich die öffentlichen Nachrichten kontrolliert, warum kann er dann diejenigen Medien nicht kontrollieren, die genau das behaupten?

Wo liegt die Wahrheit

Die unbequeme Wahrheit

Da jeder Mensch sich immer wieder irrt, ist die Wahrheit zumeist unbequem. Wer die Wahrheit finden will, muss das eigene Weltbild und die eigene Meinung stets kritisch hinterfragen und überprüfen. Es ist sehr bequem zu sagen: "Die Zeitung schreibt viel", wenn sie etwas Unliebsames schreibt. Es ist auch sehr bequem, bei widersprüchlichen Darstellungen nur diejenigen als wahr zu erwachten, von denen man im eigenen Weltbild bestätigt wird. Unbequemer ist es allemal, sich unvoreingenommen mit den Informationen auseinanderzusetzen, die das eigene Weltbild in Frage stellen. Unbequem ist es, einen Irrtum zuzugeben. Und je größer der Irrtum, desto unbequemer das Eingeständnis.

Auch in Konfliktsituationen gehört fast immer zur Wahrheit, dass man selbst nicht nur ein unschuldiges Opfer ist. Ganz egal, ob dieser Konflikt zwischen Personen, Organisationen oder Staaten besteht. Denn Menschen irren nicht nur, sie machen auch regelmäßig Fehler. Diese Fehler vor sich selbst nicht zu verleugnen, gehört wohl zu den unbequemsten Seiten der Wahrheit. Verleugnet man die eigenen Fehler vor sich selber nicht, relativieren sich dadurch oft die Fehler anderer.

Hier ist man wieder bei dem berühmten Zitat von Bertrand Russel angelangt. Es gibt Menschen, die sehr von sich überzeugt sind, andere zweifeln ständig an sich. Aber woher stammen die Zweifel, wenn nicht von der wahren Erkenntnis, dass man voller Fehler und Irrtümer ist? Und woher stammt die Sicherheit, wenn nicht von dem fehlenden Blick auf die eigenen Fehler? Nun ist die Wahrheit kein Grund, keinerlei Selbstbewusstsein zu haben. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass jeder Mensch Stärken hat und sich in vielen Lebenssituationen richtig verhalten hat. Insofern hat in Wahrheit jeder Mensch Grund, an sich selber zu glauben, aber auch an sich zu arbeiten – und die eigenen Grenzen, Schwächen und Fehler zu kennen.

Suche nach der Wahrheit

Da auch glaubwürdige Menschen nicht unbedingt die Wahrheit kennen, ist eine eindeutige Festlegung der Wahrheit nicht möglich. Man kann nur mit Gewissheit erkennen, was eindeutig falsch ist - z. B. die Geschichte mit den verschluckten Spinnen. (Im Zweifel lohnt auch ein Blick auf den Hoax-Service der TU-Berlin Hoax-Service TU Berlin oder auf Faktencheck). Aber auch wenn eine Darstellung Fehler enthält, muss sie deswegen nicht vollständig verkehrt sein. Ein Beispiel: Ein Abenteurer erklimmt den Mount Everest. Weil er als Rekordhalter in die Geschichte eingehen möchte, fälscht er die Aufstiegszeit. Beim Überprüfen seiner Route kann man ihm nachweisen, dass er in dieser Zeit den Mount Everest gar bestiegen haben kann. Das bedeutet aber nicht, dass die gesamte Bergbesteigung eine Lüge war. Und schon gar nicht ist bewiesen, dass er in Wirklichkeit auf dem Feldberg war.

Ansonsten gilt zu berücksichtigen, dass sich alle Menschen immer wieder irren. Darum kann die Wahrheit grundsätzlich nur dort liegen, wo glaubwürdige Menschen mit unterschiedlichen Ansichten aufeinandertreffen; wo man sich mit unbequemen Fragen und gegenteiligen Auffassungen unvoreingenommen auseinandersetzt, anstatt sich in eine Meinungsblase zu begeben. Stoßen dabei zwei oder mehr Meinungen aufeinander, kann die Wahrheit auch ein bisschen bei beiden liegen. Das ist wohl vor allem bei Pro- und Contra-Argumentationen der Fall, wie bei politischen Reformen.

Wo dagegen Meinungen durch Gewalt, Spott und Ausgrenzung unterdrückt werden, wo immer absolute Wahrheiten nicht in Frage gestellt werden dürfen, dort dürfte die Wahrheit kaum zu finden sein. Zwar gibt es Ausnahmen, z. B. ein Mathelehrer, der eine richtige Formel vermittelt und auf unberechtigte Einwände nicht eingeht. Dennoch würde er keinen Zugang zur Wahrheit vermitteln. Denn er würde eine wahre Formel vermitteln, jedoch kein Verständnis dafür.

Je komplexer ein Thema ist, desto schwieriger wird die Suche nach der Wahrheit. Natürlich kann man Fachbücher lesen, aber auch diese sind nicht fehlerfrei – und man muss sie auch verstehen! Dabei stößt man oftmals auch auf ein zeitliches Problem, da arbeitende Menschen mit Familie kaum die Zeit haben, sich in alle Themen zu vertiefen. Die ehrliche Erkenntnis, vieles nicht zu wissen, mag frustrierend sein. Aber sie bewahrt davor, andere unsichere Menschen durch falsche Sicherheit in die Irre zu führen. Die Antwort meines damaligen Wirtschaftsprofessors zur Stabilität des Euros war wahrhaftiger als das vorgegebene Wissen von zahlreichen Schwätzern.

Fazit

Die Suche nach der Wahrheit wird eine Suche bleiben, wenn man auf Informationen von außen angewiesen ist. Oft genug ist die einzige Gewissheit die Ungewissheit. Bei Pro- und Contra-Argumenten steckt wohl in beiden Sichtweisen ein Stück Wahrheit. Bei alternativen Erklärungsversuchen hilft es nur, beide Erklärungen bzw. die Kritik an beiden gegenüberzustellen und beide gleichermaßen kritisch zu hinterfragen. Je mehr Fachwissen man selber miteinbringt, desto eher kann man Fehler in der Argumentation erkennen.