Ruhepunkt

Über das N-Wort

In den Zeitungen liest man gelegentlich vom N-Wort. Vermutlich weiß dabei jeder, wofür das N steht. Viele Menschen stoßen sich daran an, wenn man es ausspricht. Viele Menschen stoßen sich aber auch daran an, dass man nicht mehr aussprechen soll, was man früher ganz natürlich ausgesprochen hat. Dabei ist manchmal von Sprachpolizei die Rede. Kann man ein Wort überhaupt verbieten? Und wer verbietet es? Gesetzlich ist es jedenfalls nicht verboten. Ich habe selber die Ächtung dieses Begriffs lange Zeit als übertrieben angesehen. Inzwischen sehe ich das anders. Allerdings kann man kaum alle Problematiken beschreiben, wenn man einen Bogen um dieses und ähnliche Wörter macht. Darum werde ich im Folgenden auch Wörter beim Namen nennen, die als anstößig gelten.

Früher wurden Menschen mit dunkler Hautfarbe ganz selbstverständlich als Neger bezeichnet. In Michael Endes Kinderbuch Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer aus dem Jahr 1960 und in der Komödie Otto der Film aus dem Jahr 1985 taucht der Begriff auf, ohne diskriminierend zu wirken. Heutzutage gilt dieses Wort als rassistisch. Aber warum? Bedeutet Neger denn auch nichts anderes als dunkelhäutig und ist dunkelhäutig nicht wertfrei, ebenso wie hellhäutig, blauäugig, braunäugig, usw.? Für mich stellte sich die Frage, ob es übertriebene politische Korrektkeit ist oder ob sich auch Betroffene selber dadurch angegriffen fühlen. Also fragte ich einen Freund mit dunkler Hautfarbe, wie es ihm mit diesem Begriff ginge. Er bestätigte mir, dass er ihn als absolut diskriminierend empfände. Das brachte mich dazu, meinen bisherigen Standpunkt zu überdenken und mir die Frage zu stellen, worin das Verletzende in dem Begriff steckt. Ich stieß durch Zufall auf einige literarische Quellen, gleichzeitig wurden mir manche Zusammenhänge erst bewusst.

Zuerst dachte ich wie viele andere, der Begriff Neger sei an sich nicht problematisch, es läge nur an der Betonung. Wenn man also verächtlich von den Negern spräche, sei es eine Diskriminierung, aber wenn man das Wort ohne negative Betonung sagte, sei es in Ordnung. Der Ton mache die Musik. Das ist naheliegend, aber nicht ganz zutreffend. Um das zu verstehen, lohnt sich eine Parallele: In meiner Schulzeit hatten wir manchmal auch Asiaten an unserer Schule. Es war absoluter Konsens, dass die Bezeichnung "Schlitzauge" eine übelste Beleidigung ist. Auch, wenn man in der 3. Person über sie sprach. Nun kann man natürlich fragen, ob es hier nicht auch an der Betonung liegt? Allerdings wirkt es schon fast grotesk, Schlitzauge nicht beleidigend auszusprechen. Aber ist das beim Begriff Neger wirklich anders? Natürlich steht man manchmal vor dem Problem, dass man einen Menschen nicht beim Namen kennt. Was bleibt einem dann anderes übrig, als sich seiner äußeren Merkmale zu bedienen: Der große Blonde oder der etwas Beleibte mit den langen Haaren usw. Reduziert man hier die Person nicht auch auf ein äußeres Merkmal, wenn man vom dem Blonden spricht? Welcher blonde Mensch fühlte sich beleidigt, wenn man ihn so nennen würde, falls man seinen Namen nicht kennt? Der Unterschied liegt darin, dass niemand auf den Gedanken kommt, grundsätzlich von "Den Blonden" zu sprechen, als wären sie eine eigene Menschenart. Und gehau hier ist der Kern des Problems: Beim Begriff Neger geht es nicht um die dunkle Hautfarbe. Das Problem ist, dass der Begriff Neger aus einer menschenverachtenden Rassekunde stammt und mit weiteren Eigenschaften behaftet ist: Dicke Lippen, faul, kulturell zurückgeblieben, usw. Ich erinnere mich an eine Aussage meines Wirtschaftslehrers, der zum Thema Exporte anmerkte: "Wir schicken den Negern die Kühlschränke und sie uns die Bananen." Mit dieser dümmlichen Bemerkung brachte er auf den Punkt, was mit dem Begriff Neger regelmäßig mitschwingt: Dass es sich um primitivere Menschenart handeln würde, vielleicht ganz liebenswürdig, aber eben immer noch Urwaldbewohner. So wurde Jazz oder RockĀ“n Roll früher auch abfällig als Neger-Musik bezeichnet. Auch in Hermann Hesses Steppenwolf heißt es im Traktat des Steppenwolfes:

Denn kein einziger Mensch, auch nicht der primitive Neger, auch nicht der Idiot, ist so angenehm einfach, dass sein Wesen sich als die Summe von nur zweien oder dreien Hauptelementen erklären ließe;

In Hans Falladas Roman Bauern, Bonzen und Bomben wird eine Person als weißer Neger bezeichnet, weil er so dicke Lippen hat wie ein Neger. Sogar in Asterix werden dunkelhäutige Menschen in der Regel mit riesigen Lippen gezeichnet. Nun waren Hesse, Fallada und Uderzo deswegen sicher keine Rassisten. Aber sie waren geprägt von dem Menschenbild ihrer Zeit. Ein Menschenbild, in dem es verschiedene Menschenrassen gibt, eine davon die Neger. Besonders drastisch formulierte es Voltaire:

"Die Rasse der Neger ist eine von der unsrigen völlig verschiedene Menschenart [...] Man kann sagen, dass ihre Intelligenz nicht einfach anders geartet ist als die unsrige, sie ist ihr weit unterlegen."

In gleicher Weise unterstellte man den Asiaten, dass sie ein r nicht sprechen könnten und stattdessen l sagten. Es hat nichts mit übertriebener politischer Korrektheit zu tun, sich von diesem rassistischem Menschenbild zu verabschieden. Denn es gibt zwar durchaus das genetische Merkmal der dunklen Hautfarbe verbunden mit schwarzen Haaren. Aber es gibt keine Menschenrasse Neger, die anderen Rassen unterlegen ist.

Deswegen den Begriff des Negers aber aus allen literarischen Werken zu streichen, kommt einer Geschichtsfälschung gleich. Menschen mit dunkler Hautfarbe wurden Jahrhunderte als Neger bezeichnet, sie wurden als andere Menschenart aufgefasst. Ihnen wurden alle möglichen Klischees angeheftet, die heute zum Glück nicht mehr (überall) akzeptiert werden. Wenn man jetzt anfängt, die Literatur umzuschreiben, dann würde man es so darstellen, als hätte es so etwas nie gegeben. Das wäre ein völlig falsches Signal. Sinnvoller wäre wohl eher ein kurzer Hinweis, dass man Menschen mit dunkler Hautfarbe als unterlegene Menschenrasse Neger aufgefasst hat.