Vorbemerkung: In diesem Artikel geht es um Freundschaft. Aus stilistischen Gründen wird auf eine gendergerechte Sprache verzichtet. Wenn ich im Folgenden von Freunden spreche, fallen darunter selbstverständlich auch Freundinnen.
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Freundschaft spielt für ihn eine wichtige Rolle. Kleine Kinder fragen oft ganz direkt: "Sind wir Freunde?" Im Jugendalter spielt die gemeinsame Freundesclique eine bedeutende Rolle. Oft ist sie auch ein Zeichen von Stärke, schließlich bietet sie Schutz. Wer keiner angehört, gilt als ausgeschlossen. Auch im jungen Erwachsenendasein haben viele einen großen Freundeskreis. Familiengründungen kosten dann viel Zeit und führen oft zu einer Vernachlässigung von Freundschaften, da gemeinsame Partner wichtiger werden. Die richtig guten Freundschaften halten aber.
Wer aber ist überhaupt Freund im Kreis von Bekannten? Manche von ihnen schätzt man mehr, andere weniger. Zwischen geschätzten Bekannten bilden sich oft Freundschaften - der Übergang ist fließend. Gemeinsame Hobbys und Interessen sind oft Grundlage für Freundschaften, aber sie sind nicht unbedingt notwendig. Manchmal bilden sich Freundschaften aus Schicksalsgemeinschaften. Dabei können auch Menschen mit wenig Gemeinsamkeiten und viel Trennenden zu Freunden werden. Wenn es einen sichtbaren Freundschaftsbeginn gibt, dann ist es vermutlich das erste persönliche Treffen abseits von alltäglichen Begegnungen.
Es gibt verschiedene Grade von Freundschaften, die sich allerdings nicht in Zahlen festhalten lassen. Man spricht oft von losen Freundschaften, guten Freunden oder auch vom besten Freund. Vielleicht lässt sich die Tiefe einer Freundschaft darin messen, wieviel sich die Freunde gegenseitig anvertrauen. Vertrauen ist für eine Freundschaft sehr wichtig, genau wie in einer Liebesbeziehung.
Ohnehin gibt es zwischen einer Liebesbeziehung und einer Freundschaft viele Gemeinsamkeiten:
Zwischen einer Liebesbeziehung und einer Freundschaft gibt es auch Unterschiede:
Manche Menschen streben Freundschaften zu Mächtigen an, um von deren Macht zu profitieren. Doch Freundschaftsdienste von Mächtigen haben zurecht den schlechten Ruf von Filz. Es kann für einen Menschen schwierig sein, seine Macht gegen einen Freund einzusetzen. Wenn ein Vorgesetzter betriebsbedingte Kündigungen aussprechen muss, soll er dann ausgerechnet einen guten Freund kündigen? Wer wird bei einer Beförderung berücksichtigt: Der weniger qualifizierte gute Freund oder ein Mitarbeiter, der sehr qualifiziert ist, mit dem man menschlich aber nicht gut kann? Verletzt der Chef den Freund, wenn er ihn nie befördert? Oder wie ist es, wenn der Freund in irgendeiner Art negativ auffällt? Soll der Chef ihn abmahnen und die Freundschaft belasten oder soll er ihn besser behandeln als die anderen Mitarbeiter?
Umgekehrt kann es sein, dass das Machtverhältnis auch innerhalb der Freundschaft bestehen bleibt. Zum Beispiel, wenn ein Vorgesetzter seinen Mitarbeiter zu Hause besucht und ihm dort Anweisungen erteilt. Für jeden Menschen mit gesundem Selbstvertrauen ist das eine Schreckensvorstellung. Aber wer Freundschaften zu Mächtigen anstrebt, braucht sich über solche Szenarien nicht zu beklagen. Auch gibt es Menschen, die danach bestrebt sind, Macht über ihre Freunde auszuüben. Es stellt sich dann allerdings die Frage, ob sie diese überhaupt als Freunde sehen oder nur als Gehilfen. Eine Freundschaft zu solchen Menschen ist im besten Fall problematisch. Vermutlich ist es das sinnvollste, sich andere Freunde zu suchen.
Zwar kann es innerhalb von Freundschaften Machtstrukturen geben, welche die Freundschaft nicht berühren - z. B. wenn jemand durch Aufstieg in der Firmenhierarchie zum Vorgesetzten des Freundes wird. Insgesamt stehen Freundschaft und Macht aber in einem schwierigen Verhältnis.
Freunde haben einen starken Einfluss, der nicht immer gut ist. Durch die falschen Freunde sind schon viele Menschen auf die schiefe Bahn geraten. Manch einer wurde von ihnen sehr enttäuscht. Kann man schlechte Freunde erkennen, bevor sie Vertrauen missbrauchen und einen schlechten Einfluss ausüben? Und was sind die wirklich wahren Freunde? Da wahrscheinlich jeder Mensch andere Bedürfnisse und Erwartungshaltungen hat, ist diese Frage schwer zu beantworten. Dennoch möchte ich mich ihr widmen.
Aus dieser Frage ergibt sich auch die Frage, wie man sich gegenüber seinen Freunden verhalten sollte. Dazu habe ich bestimmte Überzeugungen und bin auch bei anderen auf Überzeugungen gestoßen, die mal mehr und mal weniger offen ausgesprochen oder auch vorgelebt wurden.
Auch wenn aus einer gegenseitigen Wertschätzung nicht zwangsläufig eine Freundschaft wächst, ist sie sicherlich ein wichtiges, wenn nicht das wichtigste Fundament für Freundschaft.
Der Grund für die gegenseitige Wertschätzung ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Der eine schätzt einen Mitmenschen wegen seiner Fähigkeiten, der andere wegen seiner Überzeugung, wieder ein anderer wegen seiner menschlichen Eigenschaften usw. Je nach Person können die Kriterien für Wertschätzung sogar entgegengesetzt sein. In manchen Kreisen wird man für soziales Verhalten geschätzt, in anderen Kreisen für besondere Härte gegenüber anderen. Nun kann sich die Wertschätzung für Menschen im Laufe der Zeit gravierend ändern, eine Freundschaft kann durch den Verlust von Wertschätzung belastet werden und sogar zugrunde gehen. Sie kann aber auch immer wieder bestätigt werden, manchmal sogar neu wachsen.
Ein sichtbares Zeichen dieser Wertschätzung ist die regelmäßige Kontaktpflege. Man ruft an, man schreibt sich E-Mails oder sogar Briefe, man besucht sich gegenseitig. Geht die Kontaktpflege dagegen nur von einer Person aus, wachsen bei dieser irgendwann mit Recht Zweifel, ob der andere überhaupt ein Interesse an der Freundschaft hat.
Wer steht einem bei, wenn nicht der Freund? Man ist krank und wird vom Freund besucht. Man hat Sorgen und Probleme, der Freund hört einem zu. Man benötigt Unterstützung und der Freund liefert sie. Man ist alleine und der Freund meldet sich. Der wahre Freund tut dies nicht in der Erwartung einer Gegenleistung. Er tut es, weil sein Freund die Hilfe braucht. In manchen Fällen kann der Beistand dazu führen, dass man seinem Freund gefühlt hinterherläuft. Man schreibt dem Freund und erhält keine Antwort, man ruft mehrmals an und der Freund hebt nicht ab. Das kann sehr kränkend sein, aber wenn die Ursache für die Vernachlässigung der Freundschaft in größeren Problemen liegt ( z. B. psychische Probleme), dann zeichnet sich der gute Freund eben dadurch aus, dass er trotzdem seinem Freund beisteht und ihm weiter hinterherläuft.
Dieser Beistand kann aber schnell entarten. Wenn der Freund etwas tut, was man nicht für gutheißt, braucht man ihm eben nicht beizustehen: Man braucht nicht mitsaufen, wenn der Freund sich besäuft, man braucht sich nicht an Mobbing-Aktionen zu beteiligen, die vom Freund ausgehen, man muss über seine Witze nicht lachen, wenn man sie nicht komisch findet. Selbst wenn man sich unsicher ist und noch keine Meinung dazu hat, braucht man nicht beizustehen. Im Gegenteil: Der wahre Freund zeichnet sich dadurch aus, dass er seine eigene Meinung sagt – auch wenn er damit den Freund kritisiert. Denn der wahre Freund ist authentisch und verstellt sich nicht. Dementsprechend braucht man seinen Freunden auch nicht in ihrer Meinung beizustehen, wenn man selber anders denkt. Wenn die Freundschaft nur solange gut ist, solange man die gleiche Meinung oder Gesinnung hat, ist es dann wirklich noch eine Freundschaft? Es kann natürlich sein, dass rote Linien überschritten werden, welche zum Ende der Freundschaft führen. Freundschaften setzten meistens einen gewissen Konsens voraus. So ist für mich z. B. eine Freundschaft zu Holocaustleugnern, Mitgliedern krimineller Organisationenen oder Parteien mit menschenverachtender Ausrichtung nicht denkbar. Umgekehrt habe ich es schon erlebt, dass ich nach mancher Meinungsäußerung keine Antworten mehr von früheren Freunden erhielt. Hatte ich also etwas Falsches gesagt? Sicher nicht, denn andernfalls existierte die Freundschaft vielleicht weiter, wäre aber keine wahre Freundschaft mehr gewesen. Sie bestünde nur, solange ich meine eigene Meinung verheimlichte. Um die wahren Freunde zu finden, sollte man also gerade die eigene Meinung sagen, ohne die Standpunkte der (angehenden) Freunde zu berücksichtigen.
Ein entscheidender Unterschied zwischen wahren und falschen Freunden ist der, dass wahre Freunde nicht ihren Willen aufzwingen wollen. Sie respektieren die Freiheit ihrer Freunde, weil ihre Wertschätzung den Freunden mit all ihren Stärken, Schwächen und Überzeugungen gilt.
Viele halten Kritik an Freunden für tabu. Tatsächlich ist es wohl eher eine Frage der Tonart. Es ist kein Zeichen von Freundschaft, wenn man sich vor anderen demütigt. Gute Freunde grenzen sich aber von Ja-Sagern gerade dadurch ab, dass ihnen der Freund nicht egal ist. Sie wollen nicht, dass er Fehler wiederholt und weisen deshalb darauf hin. Dazu gehört auch viel Einfühlungsvermögen, um den Freund nicht zu verletzen. Natürlich können sie mit der Kritik auch falsch liegen – aber dann kann man sie auch entkräften. Nun sind Freunde aber nicht Erziehungsberechtigte. Wenn man seinen Freund auf einen (vielleicht auch vermeintlichen) Fehler hinweist und er die Kritik in den Wind schlägt, kennt er die Meinung. Es macht keinen Sinn, ihn auf aggressive Art zu missionieren.
Jeder Mensch hat viele charakterliche Facetten, die auch widersprüchlich sein können. Nach einer ersten Begegnung hat man zwar einen Eindruck, man kennt den Menschen aber noch lange nicht. Manchmal hinterlassen Menschen einen positiven Eindruck, zeigen dann aber immer mehr negative Seiten. Sie stellen sich vielleicht besonders gut dar und zeigen erst im Laufe der Zeit ihren wahren Charakter. Manche Menschen haben auch hohe Ansprüche an sich selber, werden diesen aber nicht gerecht. Umgekehrt schrecken manche Menschen bei der ersten Begegnung ab, haben dann aber viele gute Charaktereigenschaften. Interessant ist dabei z. B., wie sich ein Mensch im Streit verhält: Streitet er konstruktiv um die Sache oder versucht er, den Kontrahenten einzuschüchtern? Und wie verhält er sich gegenüber Schwächeren und Menschen, die ihm ausgeliefert bzw. von ihm abhängig sind?
Je länger und je intensiver man mit einem Menschen zu tun hat, desto genauer kennt man ihn mit all seinen charakterlichen Facetten. Freundschaften werden von diesen Facetten geprägt, sie können über die Dauer wachsen, aber auch zugrunde gehen.
Für das Ende von Freundschaften gibt es mehrere Gründe:
Die Freundschaft wird über die Jahre immer wieder Prüfungen unterzogen. Je länger sie festen Bestand hat, desto enger wird sie und desto sicherer kann man sich einer guten Freundschaft sein.
Damit Freundschaften nicht absterben, müssen sie regelmäßig gepflegt werden. Wie regelmäßig die Pflege sein sollte, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Manche Menschen telefonieren zwei oder mehr Mal pro Woche mit ihren besten Freunden, andere ersticken in Arbeit und haben schlichtweg nicht die Zeit, auch nur einmal im Monat zu allen Freunden den Kontakt zu pflegen.
Manche Menschen tun sich schwer, Freunde zu finden. Sie leben etwas in ihrer eigenen Welt und wirken dadurch seltsam. Dadurch stoßen sie andere Menschen ab und verlieren sich noch mehr in ihrer eigenen Welt. Wenn sie aber überall ausgestoßen werden, braucht man sich nicht zu beklagen, wenn sie sich in ihrer eigenen Welt verlieren und den Anschluss bei Sekten oder Extremisten suchen. Auch ist nicht jedes seltsame Verhalten schädlich. Ich für meinen Teil habe aber die Erfahrung gemacht, dass sich unter Außenseitern oft sehr interessante Charaktere verbergen. Es lohnt sich, ihnen gegenüber offen zu sein.
Wahre Freunde bewahren vor Absturz, Isolation und Verwirrung in inneren Monologen. Mit ihnen kann man viel erleben, sie können helfen, wenn man sich verloren fühlt. Jede einzelne gute Freundschaft ist von besonderem Wert. Wie bei einer Liebesbeziehung bekommt man sie geschenkt, aber es bedarf Beziehungsarbeit, um sie zu halten. Auch sonst hat die Freundschaft viel gemein mit einer Liebesbeziehung, doch sie ist entspannter. Denn man ist sich nicht ständig so nahe und der Konkurrenzgedanke ist nicht so ausgeprägt.
So wichtig Freunde sind, wenige gute Freunde sind besser als viele, die man kaum kennt. Die wahren Freunde findet man wohl am besten dadurch, dass man möglichst authentisch ist, anstatt sich für andere zu verstellen. Umgekehrt sind die Freunde authentischer, die einem widersprechen und im Zweifel auch kritisieren. Machtausübung innerhalb von Freundschaften ist Gift für die Freundschaft - Macht und Freundschaft sind keine guten Freunde. Je länger eine gute Freundschaft hält, desto wertvoller wird sie und umso wichtiger ist es, sie zu pflegen.
Wahre Freundschaften gehören sicherlich zu den größten Schätzen, die es im Leben gibt.