Ruhepunkt

Smartphones für Kinder

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Was halten Sie von der Idee, dass jedes Kind ab acht Jahren ein Auto fahren darf? Damit könnten Kinder schon sehr früh den Umgang mit dem Verkehr lernen und ein Verständnis für Technik entwickeln. Falls Sie nichts davon halten, was halten Sie dann von der Idee, Kindern im gleichen Alter ein Smartphone zu schenken? Ein Smartphone ist natürlich kein Auto, aber der Umgang mit dem Smartphone erfordert ebenso Reife und Wissen, wenn man sich damit keinen Gefahren aussetzen bzw. andere gefährden soll.

Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen

Diese Gefahren sind aber vielen Erwachsenen nicht bewusst, weil sie ihr Smartphone und die Dienste anders nutzen als Kinder. Kinder nutzen digitale Medien vor allem zur Unterhaltung. Sie haben noch kein Verantwortungsbewusstsein entwickelt, schließlich sind sie noch damit beschäftigt, die Welt zu entdecken und sich auszuprobieren. Sie hinterfragen in der Regel auch nicht, was sie lesen oder hören und kennen sich mit vielen Themen noch nicht aus. Damit sind sie viel mehr Gefahren ausgeliefert als Erwachsene und werden durch den falschen Umgang mit Smartphones auch zur Gefahr für andere Kinder:

Nächtliche Plauderstunden

Jeder, der einmal auf einer Kinderfreizeit war weiß, wie schwierig es hier ist, nachts Ruhe in die Kinderzimmer zu bringen. Der Grund ist, dass die 4 bis 6 Kinder in dem Zimmer sich noch unterhalten wollen. Können Sie sich vorstellen, in einem Kinderzimmer mit 20 bis 30 Kindern Ruhe durchzusetzen? Wie lange wird es wohl dauern, bis hier alle Kinder schlafen? Genau dieses Phänomen tritt oft bei Klassenchats ein. Im Gegensatz zu einer Freizeit geschieht dies aber nicht nur an wenigen Ferientagen, sondern in der Schulzeit in unzähligen Nächten. Im Gegensatz zu einer Freizeit bekommen die Erwachsenen davon auch nichts mit, weil man die Smartphones auf stumm und dunkel schalten kann. Während also die Eltern im guten Glauben sind, dass ihre Kinder schlafen, chatten diese häufig bis in die frühen Morgenstunden und werden durch die Signale der Smartphones immer und immer wieder geweckt. Dementsprechend sind sie tagsüber völlig übermüdet.

Kettenbriefe

In meiner Kindheit ging die Geschichte von der Frau in schwarz um, die Autofahrer anhielt und einem von ihnen ich meine einen Atomkrieg ankündigte. Diese Geschichte jagte mir damals große Angst ein. Dafür war ich umso gerührter von der Geschichte, dass ein Vogel in England entflogen war und von der Nachbarskatze zurückgebracht wurde – das war schwarz auf weiß nachzulesen auf einem Zettel in einer Vogelfutterpackung. Natürlich sind beide Geschichten Unsinn, aber als Kind hinterfragt man wenig bis gar nicht, was man liest oder erzählt bekommt. Was aber geht in einem Kind vor, wenn es in WhatsApp einen Text wie diesen erhält:

„Hallo ich bin Momo und bin vor 3 Jahren verstorben ich wurde von einem Auto angefahren und wenn du nicht möchtest das ich heute Abend um 00:00 Uhr in deinem Zimmer stehe und dir beim schlafen zuschaue dann sende diese Nachricht an 15 Kontakte weiter. Du glaubst mir nicht?

Angelina 11 hilt die Nachricht für fake und schickte sie an niemanden weiter in der Nacht hört sie Geräusche aus einer Ecke ihres zimmers sie wollte nach gucken doch auf einmal rante etwas auf sie zu am nächsten Morgen wurde sie Tot in ihrem Bett gefunden

Tim 15 schickte die Nachricht nur an 6 Leute weiter am nächsten Morgen wachte er mit einem abgefressenen Bein und einem abgeschnittenen Arm auf“

(Der Brief im Original enthielt noch mehr Rechtschreibfehler).

Viele kindliche und vielleicht auch jugendliche Leser nehmen solche Kettenbriefe leider sehr ernst, bekommen große Angst und leiten sie dementsprechend weiter.

Horrorvideos

Mit der Alterseinschränkung kann man Inhalte sperren, die für ein Alter unangemessen sind. Da WhatsApp aber erst ab 16 Jahren zugelassen ist, werden auch Links zu Filmen mit einer Altersfreigabe ab 16 Jahren nicht blockiert. Damit kann jedes Kind auch Videos sehen, die eine Altersfreigabe ab 16 enthalten. Darunter z. B. Horrorclowns wie Es oder Terrifier. Für Kinder ist es oftmals ein Spaß, solche Videos (vor allem an Halloween) als Mutprobe weiter zu schicken. Und welches Kind möchte schon als Feigling dastehen, das sich nicht getraut hat, auf einen Videolink zu klicken? Da Kinder mit Clowns grundsätzlich etwas Lustiges verbinden, ist ein Horrorclown für sie besonders schockierend. An wen sollen sie sich aber wenden, wenn Sie dadurch Angst bekommen? Da die meisten Eltern aus Sorge um ihre Kinder deren Smartphone zu sich nehmen würden, teilen sich die Kinder ihren Eltern erst gar nicht mit. Schließlich ist die Herausgabe ihres Smartphones das letzte, was sie wollten.

Cybermobbing

Kinder ärgern sich vermutlich schon gegenseitig, seitdem es Menschen gibt. Manchmal sind es ungelöste Konflikte, oft geschieht es einfach nur zur Belustigung der Täter. Im Gegensatz zu früher hat sich aber etwas geändert: Alles, was Menschen belustigt und anspricht, wird fotografiert und gefilmt, die Dateien in Chatgruppen geteilt. Damit gehen die Demütigungen für die Opfer auch zu Hause weiter. Bilder und Videos dieser Art werden dort öffentlich geliked, kommentiert und weitergeleitet, wodurch die Verletzungen auf Opferseite besonders schlimm werden. Tragisch ist, dass solche Taten mit wenigen Smartphone-Klicks geschehen. Inzwischen ist es mit Hilfe von KI-Tools sogar möglich, zu einem Gesicht einen nackten Körper generieren zu lassen. Die Opfer können also im Internet scheinbar nackt präsentiert werden. Zwar ist das alles verboten, das wissen aber die wenigsten Kinder und strafmündig sind sie unter 14 Jahren auch nicht. Ein Smartphone ist also auch eine gefährliche Waffe, die man nicht jedem in die Hand drücken darf – schon gar nicht ohne Aufklärung.  

Cyber-Grooming und Indoktrination

Es gibt auf Smartphones viele Spiele, die von der Grundidee her völlig unbedenklich sind. Da sie aber über eine Chatfunktion verfügen, werden sie oft von Sexualstraftätern, aber auch Extremisten missbraucht, um Kontakt zu Minderjährigen aufzubauen. Die Täter geben sich als Kümmerer aus und missbrauchen das Vertrauen der Minderjährigen, um sie zum Versenden von Nacktbildern zu verleiten. Dadurch werden die Kinder anschließend auch erpressbar. Auch Treffen mit den Tätern werden in die Wege geleitet.

Bei der an sich harmlosen Suche nach Online-Stickern werden auch Sticker mit Hackenkreuzen und anderen verbotenen Symbolen gefunden. Extremisten verbreiten Verschwörungstheorien und ein menschenverachtendes Weltbild, zum Teil lange bevor die Kinder über das Thema seriös informiert sind.

Lösungsansätze

Was können Eltern und andere Verantwortliche tun, um ihre und andere Kinder vor diesen Gefahren zu schützen? Einfache Verbote reichen nicht aus und im Gegensatz zu Drogen kann das Ziel nicht darin bestehen, die Heranwachsenden auf Lebenszeit davon fernzuhalten. Gemeinsame Familiensmartphones sind juristisch höchstproblematisch – vor allem, wenn die Eltern in den Chatgruppen der Kinder teilnehmen. Denn dann sind sie rechtlich mitverantwortlich und müssen kriminelle Beiträge melden. In einem Klassenchat werden aber oft hunderte von Nachrichten über Nacht ausgetauscht. Kaum ein Erwachsener möchte diese alle überprüfen. Auch die Kinderschutzsicherungen sind nur eingeschränkt hilfreich, da Kinder oft in de Lage sind, diese zu umgehen bzw. zu deaktivieren [Wolff]. Eine sinnvolle Alternative könnte darin bestehen, dass Kinder schrittweise und nur unter Aufsicht der Eltern an deren Smartphone recherchieren oder Lernapps bedienen dürfen. Das Smartphone sollte aber stets im Besitz der Eltern bleiben. (Bei manchen Apps wie Snapchat werden die Nachrichten nach dem Lesen wieder gelöscht. Eltern können sie im Nachhinein also nicht mehr einsehen).

Eltern sollten deswegen auf folgendes achten:

Vorbild: Wenn Eltern ständig auf ihr Smartphone schauen, können sie ihren Kindern nicht glaubwürdig vermitteln, darauf zu verzichten. Leider sind durch die Suchtmechanismen der sogenannten sozialen Netzwerke bereits viele Eltern abhängig und schauen ständig auf ihr Smartphone – oft im Beisein ihrer Kinder. Auch als Wecker, Fotoapparat, Nachrichtenportal und anderes sind die Smartphones ständig im Gebrauch. Wenn Eltern ihrem Kind eine unbeschwerte, smartphonefreie Kindheit ermöglichen wollen, müssen sie oft bei sich selbst anfangen: Während der gemeinsamen Zeiten mit den Kindern das Smartphone wegräumen und die gemeinsame Zeit genießen.  

Vernetzung: Eltern stehen oft vor der schwierigen Entscheidung: Geben Sie ihrem Kind ein eigenes Smartphone, liefern sie ihr Kind den oben beschriebenen Gefahren aus. Verweigern Sie diesen Wunsch aber, wird das Kind oft zum Außenseiter, falls alle anderen Kinder bereits ein Smartphone haben. Umso wichtiger ist es für die Eltern, sich möglichst früh mit anderen Eltern aus der Klasse und Umgebung zu vernetzen. Denn viele Eltern geben ihrem Kind nur deswegen ein Smartphone, weil es die anderen auch tun.

Aufklärung: So wichtig es für Autofahrer ist, einen Führerschein zu besitzen, so wichtig ist es für Smartphonenutzer, über Rechtslage und Gefahren der Smartphone-Nutzung Bescheid zu wissen. Insbesondere Kinder, da sie sonst gutgläubig und ahnungslos größten Gefahren ausgeliefert werden.

Grenzen setzen: Es ist sicherlich nicht immer einfach, einem Kind einen Wunsch auszuschlagen. Aber solange es eine gewisse Reife nicht hat, ist ein eigenes Smartphone nicht verantwortbar. Dies geschieht zum Schutz des Kindes und seines Umfeldes. Das muss natürlich einfühlsam vermittelt werden.

Vertrauen: Wenn ein Kind erst ein Smartphone hat, lässt sich das nur schwer rückgängig machen – jedenfalls nicht ohne Vertrauen zu zerstören. Wahrscheinlich würde sich kein Kind den Eltern anvertrauen, wenn es deswegen sein Smartphone herausrücken müsste. Aber egal, was das Kind erzählt, darf es deswegen nicht in irgendeiner Art bestraft werden (z. B. Smartphoneverbot). Wenn ein Kind erzählt, dass es nicht mehr schlafen kann, weil es sich nachts einen Horrortrailer angesehen hat oder wenn es ein Nacktbild verschickt hat, ist es ein Opfer, das Unterstützung benötigt.

Die Bewegung Smarter Start ab 14 setzt sich zum Ziel, Kindern eine smartphonefreie Kindheit zu ermöglichen. Deswegen sollen Kinder unter 14 Jahren keine Smartphones erhalten, sogenannte soziale Netzwerke erst mit 16 Jahren zugelassen werden.

Weitere Quelle

Wolff, Daniel; Allein mit dem Handy, letzter Zugriff: 22.05.2025