Ruhepunkt

Missionieren

Das Wort missionieren hat einen negativen Beigeschmack. Aber warum? Normalerweise wird es im Zusammenhang mit Religion verwendet. Es gibt missionierende Religionen wie das Christentum oder den Islam, die ihre Glaubenslehre weiterverbreiten wollen. Genauso gibt es aber auch Missionare des Atheismus, welche die Überzeugung der Nichtexistenz eines Gottes weiterverbreiten. Missionieren findet aber nicht nur bei religiösen Lehren, sondern auch bei politischen und gesellschaftlichen Überzeugungen statt. Sehr missionarisch nehme ich insbesondere Verschwörungstheoretiker wahr, die sich selbst bezeichnenderweise oft als Truther bezeichnen - also Besitzer der Wahrheit.

Auch im Zusammenhang mit alltäglichen Verhaltensweisen findet Missionierung statt. Als ich zum ersten Mal mit meinen Schülern auf kahoot.com ein paar Wettbewerbe gespielt hatte, waren sie und ich begeistert. Ich empfahl diese Seite sämtlichen Kollegen, die davon noch nichts wussten. Was hatte ich damit getan? Ich habe sie missioniert. Noch viel mehr missioniere ich seit Jahrzehnten mit unterschiedlichen Angeboten für das Schachspiel. Im Schachturnierbetrieb erlebte ich Mission für bestimmte Turniermodelle. Jeder Lehrer, der von seinem Fach überzeugt ist, betreibt dafür Missionsarbeit. Greta Thunberg ist eine Missionarin für den Klimaschutz. Nach meiner Wahrnehmung ist sie die erfolgreichste Missionarin der Gegenwart. Dementsprechend wird sie von Klimaschützern hoch geschätzt, so wie Missionare anderer Überzeugungen von ihren Gleichgesinnten geachtet werden. Missionieren wirft man nur den Missionaren vor, die verbreiten, wovon man selbst nicht überzeugt ist.

Missionszweck

Warum hat missionieren einen so schlechten Ruf? Vermutlich, weil diejenigen Missionare hervorstechen, die besonders aggressiv und intolerant auftreten. Vielleicht ist es ratsam zu differenzieren, was genau der Missionszweck ist:

Egal, um welchen Missionszweck es sich handelt: In einem Land mit Meinungsfreiheit sollte sich niemand daran stören, wenn für irgend eines dieser Ziele geworben wird. Ich für meinen Teil habe Missionsversuche von allen möglichen Konfessionen und Religionen überstanden und war den entsprechenden Missionaren niemals böse deswegen. Aber auch freundliche Missionsversuche zu vegetarischem Essen habe ich erlebt und fand sie in keinster Weise anstößig.

Missionsart

Werben und oder vorleben

Es gibt verschiedene Arten zu missionieren. Man kann immer wieder für eine Überzeugung oder eine Sache werben, zu Gesprächen einladen und auffordern. Man kann aber auch wortlos vorleben, wofür man missionieren möchte. Alleine durch den Nachahmungseffekt wird man dadurch sicherlich sein Missionsziel verbreiten können. Beim Vorleben wird auch erkennbar, ob man wirklich hinter allem steht, wofür man wirbt. Viele Menschen wird man aber ohne Werbung wohl nicht überzeugen können - das ist jedenfalls meine Erfahrung aus dem Schach-Bereich. Der erfolgreichste Weg dürfte wohl in der Kombination aus überzeugendem Vorleben und Werben bestehen.

Aggressive Mission

Anders sieht es aus, wenn die Missionierung aggressiv verläuft. Das beginnt damit, dass man weiter missioniert, obwohl der Gesprächspartner seine Ablehnung deutlich gemacht hat. Eine alltägliche Situation könnte so aussehen: Ein überzeugter Star Wars Fan möchte einen Freund missionieren, ebenfalls Star Wars zu sehen. Aber der kann mit solchen Filmen nichts anfangen und möchte ihn nicht sehen. Daraufhin bedrängt der Missionar ihn: "Warum willst du ihn nicht wenigstens einmal ansehen? Du weißt doch gar nicht, was dich erwartet? Der Film ist nicht zu vergleichen mit anderen Science-Fiction-Filmen". In ähnlicher Weise könnte man aggressiv für politische oder religiöse Überzeugungen werben. Aggressive Mission findet aber auch statt, wenn Menschen wegen ihrer Überzeugung verspottet und angefeindet werden. Der Zweck der Anfeindung besteht darin, dass sie endlich aufhören sollen, "falsche" Meinungen oder "falschen Glauben" zu vertreten. In strenggläubingen Gruppierungen, insbesondere in Sekten sind solche Szenarien sehr real. Aber auch bei intoleranten Atheisten, die Gläubige welcher Art auch immer anfeinden, damit sie endlich aufhören, an etwas "falsches" zu glauben. In der Regel erreicht man mit aggressiver Mission genau das Gegenteil: Man stärkt die Fundamentalisten der anderen Seite und stößt die Menschen ab, welche man missionieren möchte.

Notwendige Mission?

Viele von denen, die aggressiv missionieren, rechtfertigen ihr Vorgehen mit einer angeblichen Notwendigkeit ihres Missionsziels. Wer aber kann sagen, was wirklich notwendig ist? Dazu ein paar Beispiele:

Die meisten Menschen werden vermutlich mit mir einer Meinung sein, dass es notwendige Mission gibt. Doch welche Mission nun notwendig ist und welche nicht, darüber herrscht auf jeden Fall Uneinigkeit. Die Missionsziele der Friday for future Bewegung heben sich von anderen dadurch ab, dass es um die Zukunft eines ganzen Planeten geht.

Missionsmotive

Bei Missionierungen aller Art stellt sich aber nicht nur die Frage, wofür oder wogegen der Missionar missioniert, sondern auch, warum er missioniert. Missioniert er, weil er wirklich am Heil von Menschen interessiert ist? Missioniert er, weil ihn das, was er verbreitet, so sehr begeistert? Missioniert er zu seiner eigenen Praxis oder Überzeugung, ohne über den Sinn des Missionierens nachzudenken? (Dieser Fehler ist mir in jüngeren Jahren wohl oft genug unterlaufen). Oder missioniert er aus Intoleranz gegenüber jeder anderen Verhaltens- bzw. Glaubensweise? Missioniert man für eine Religion, weil man durch sie viel segensreiches erfahren hat oder missioniert man, weil man alle anderen Religionen verachtet, ohne sie zu kennen? Die gleiche Frage kann man sich bei politischen Ansichten stellen.

Wo ist die Heilsbotschaft?

Im Rückblick muss ich selbstkritisch erkennen, dass ich mir in der Vergangenheit bei der Verfolgung von Missionszielen eine Frage viel zu selten gestellt habe: Welche Heilsbotschaft wird mit der Mission überhaupt verbreitet? Bzw.: Gibt es überhaupt eine? Wenn nein, dann braucht man wirklich nicht zu missionieren. Diese Frage habe aber nicht nur ich mir zu selten gestellt. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit ein paar christlichen Missionaren, die ihre Mission damit begründeten, dass jeder Nichtchrist in die Hölle käme. Wenn das die einzige christliche Heilsbotschaft ist, die jemand zu bieten hat, dann sollte er das Missionieren wohl besser bleiben lassen. Und ganz egal, welcher Religion man angehört: Ein mögliches Urteil im Jenseits sollte man jemand anderem überlassen.

Doch so sehr mich diese Missionare abgestoßen haben, gehörten sie bei weitem noch nicht zu den schlimmsten Fällen. Schließlich gibt es auch Missionare, die junge Menschen für eine Selbstaufopferung in einem Krieg oder sogar einem Anschlag gewinnen. Missionare, die Hass gegen andere Menschen verbreiten. Es gibt Missionare, die unbedingt den Raubtierkapitalismus weiter verbreiten wollen. Vermutlich gibt es kein Unheil der Welt, welches nicht von irgendwelchen Missionaren verbreitet wird. Natürlich meint jeder Missionar, dass er für die "richtige" Sache missioniert - egal wieviel Heil oder Unheil er verbreitet. Es täte wohl jedem Missionar gut sich selbst die Frage zu stellen, wo denn seine Heilsbotschaft ist, die er verbreitet? Dient es den Menschen und wenn ja, in welcher Weise?

Fazit

Missionieren ist eine wertneutrale Verhaltensweise. Erst mit dem jeweiligen Missionsziel erhält sie einen Wert. Welches Missionsziel nun gut ist, lässt sich allgemeingültig wohl kaum beantworten, weil jeder Mensch eine andere Vorstellung von richtig und falsch hat. Umso wichtiger ist es für Missionare aller Art, dass sie sich ernsthaft mit Kritik an ihrem Missionziel auseinandersetzen. Bezüglich der Missionsmethoden ist die goldene Regel

Was du nicht willst was man dir tu, das füg auch keinem anderem zu
sicherlich ein guter Richtwert. Missionieren pauschal zu verurteilen ist nach meiner Erfahrung Doppelmoral. Denn es wird nur solange als Missionierung verurteilt, solange man das Missionsziel nicht unterstützt.